Gewerbliche Genossenschaften in Bayern
Zu Besuch bei der eG
Gewerbliche Genossenschaften sind in Bayern in vielen Branchen tätig. Doch wer arbeitet dort und wie sieht der Arbeitsalltag eigentlich aus? Ein Besuch bei Taxlern in Fürth, Brauern bei Rosenheim und Feintäschnern in München.
Feintäschner Stefan Pohorsky von den Münchener Werkstätten für Sport, Sattler- und Lederwaren eG.
Feintäschner in München: Erste Hilfe für Koffer
Koffer. Überall Koffer. Wer die Münchener Werkstätten für Sport, Sattler- und Lederwaren betritt, steht inmitten von raumhohen Regalen, vollgestellt mit – ja genau, Koffern. „Rund 150 stehen zur Reparatur an, 200 warten auf ihre Abholung“, schätzt Rupert Steininger, Zweiter Vorstand der Genossenschaft. Dazwischen hängen Reißverschlüsse und Garnspulen in allen Farben, Kleinteile werden in blauen Boxen aufbewahrt.
1902 gegründet, hat sich die Genossenschaft seit Anfang der 1970er Jahre auf die Reparatur von Reisegepäck spezialisiert. Geduldig warten die Kunden am Empfang, bis sie an der Reihe sind und Anita Sperk die Reparaturwünsche aufnimmt. Geschwind kommt sie mit einem gigantischen KunststoffRollkoffer in die Werkstatt. Ihm fehlt ein Rad. „Die Kundin fliegt in zwei Wochen nach Asien, bekommen wir das bis dahin repariert?“, will Sperk wissen. Stefan Pohorsky wirft einen Blick auf das Ungetüm. „Wenn wir die Räder vorrätig haben, schaffen wir das“, sagt er. Pohorsky ist FeintäschnerMeister und Erster Vorstand der Genossenschaft. „Jedes Fabrikat hat andere Lenkrollen. Dabei haben die doch alle die gleiche Funktion“, ärgert er sich.
Die meisten Kunden werden von Fluggesellschaften geschickt. Wenn das Gepäck beim Verladen beschädigt wird, kommt die Fluglinie für die Reparatur auf. „Wir arbeiten zum Beispiel eng mit der Lufthansa zusammen“, sagt Steininger. Er nimmt eine schon etwas abgegriffene Aktentasche aus dem Regal. „Da wurden der Ledergriff und die Schlaufen erneuert. Für das Geld hätte der Besitzer auch eine neue Tasche bekommen. Aber das war es ihm offenbar wert“, sagt er. „Viele Kunden lieben ihr Reisegepäck, das sie überall hin begleitet, über alles.“
Leder wird meistens von Hand genäht, weil die Nähmaschine nicht in die Ecken kommt. „Am häufigsten benutzen wir aber Bohrmaschine und Akkuschrauber, um alte Nieten aufzubohren und neue Rollen unter die Koffer zu schrauben“, sagt Pohorsky. Ab und an rücken die Mitarbeiter dem Gepäck auch mit dem Hammer zu Leibe. Steininger weist in einem Nebenraum auf eine Kabine mit dicken, blechverkleideten Wänden. „Das ist unsere Schallschutzkammer. Darin beulen wir Aluminiumkoffer aus. Ohne Isolierung wäre das für die Nachbarn nicht zum Aushalten“, meint er.
Inzwischen bearbeitet Pohorsky zwei Lederriemen für einen Damenrucksack und kommt ins Erzählen. „Einmal hat Michael Jackson seine Tasche vorbeigebracht – natürlich nicht er persönlich, sondern sein Manager. Ein Autogramm gab’s trotzdem, ganz im Gegensatz zu den Rolling Stones.“ Die waren auch schon Kunde der Genossenschaft, genauso wie Howard Carpendale, Franz Josef Strauß, Edmund Stoiber oder Joseph Ratzinger, als er noch Kardinal in München war und nicht Papst in Rom.
Sie hängen halt alle an ihrem Koffer, auch wenn der mal ein Rad ab hat. Aber das regelt dann Stefan Pohorsky.
Taxizentrale Fürth eG: Als Taxidisponentin den Stadtplan im Kopf
Taxidisponentin Vera Paulus von der Taxizentrale Fürth eG.
Zwei Telefone, zwei Monitore, Headset, Sprechfunkmikrofon, Karteikasten, Drucker, Notizblock: Auf dem Schreibtisch von Vera Paulus ist freier Platz rar. Nur eine lila Kerze in einer Silberschale leistet sich die Disponentin der Taxizentrale Fürth eG als Dekoration im Büro. An den Wänden hängen Listen voll mit Telefonnummern, Adressen von Ärzten oder gesperrten Straßen. Wer im Alleingang Taxis durch die 120.000 EinwohnerStadt Fürth dirigiert, braucht Überblick und MultitaskingFähigkeiten.
Im Minutentakt nimmt die Disponentin mit fränkischem Zungenschlag Anrufe entgegen und leitet die Aufträge an eines von 80 Taxis der Genossenschaft weiter. Insgesamt gibt es 16 genossenschaftliche Taxizentralen in allen größeren Städten Bayerns.
Schon wieder blinkt ein rotes Licht an einem der Telefone auf. „Taxi Fürth, guten Morgen. … Für Henke? … Vom Krankenhaus? … In Ordnung, schicke ich Ihnen.“ Noch während des Gesprächs tippt Paulus die Auftragsdetails in den Computer. Dann beugt sie sich über das Sprechfunkmikrofon. „Ebertstraße?“ Ein Fahrer am dortigen Taxistand meldet sich. „Eine Frau Henke wartet vor dem Hauptportal des Krankenhauses“, informiert Paulus. „In Ordnung“, schallt es aus der Anlage. Die Disponentin hat derweil schon den nächsten Anruf entgegengenommen.
In jeder AchtStundenSchicht vermittelt Paulus rund 500 Fahrten. Ein Großteil sind Daueraufträge, zum Beispiel Fahrten zur Dialyse. Pause hat sie nur, wenn das Telefon stumm bleibt – die Kunden sollen auf keinen Fall warten müssen. Aus diesem Grund ist ganz Fürth in 13 Zonen aufgeteilt, denen jeweils Taxistände zugeordnet sind. Von dort erreichen die Fahrer jeden Punkt in ihrem Bereich in fünf bis zehn Minuten.
Voraussetzung: Der Anrufer weiß, wo er sich befindet. Falls nicht, fragt Paulus minutenlang Details zur Umgebung ab. Dass währenddessen die Warteschlange wächst, lässt sie sich nicht anmerken.
„Also noch einmal: Sie sind jetzt an einer Bushaltestelle in der Rothenburger Straße? Da gibt es mehrere … Sehen Sie links einen NettoMarkt? … Gut – warten Sie bitte dort.“ Sie legt auf und rollt ein wenig mit den Augen. „Irgendwie bekommt man am Ende immer heraus, wo der Anrufer gerade steckt“, sagt Paulus und lacht. „Auf Dauer schwirrt mir dann allerdings der Kopf.“ Sagt’s und widmet sich dem nächsten Anrufer in der Leitung. „Taxi Fürth, guten Morgen …“
Privat-Brauerei Gut Forsting eG: Mehr als nur Bier
Braumeister Christian Straßer von der Privat-Brauerei Gut Forsting eG
Es ist kalt an diesem Herbstmorgen und noch nicht mal hell. Braumeister Christian Straßer hat den Reporter für sieben Uhr morgens zur Privat-Brauerei Gut Forsting eG bei Rosenheim bestellt – sie ist eine von zwölf Brauereigenossenschaften in Bayern. „Zu dieser Zeit läuft unsere Abfüllanlage, da rührt sich was“, hat er am Telefon angekündigt – und nicht zu viel versprochen.
Lange Förderbänder bewegen Tausende Bierflaschen bei ohrenbetäubendem Lärm und tropischer Luftfeuchtigkeit durch die Halle. Sie werden vollautomatisch gewaschen, geprüft, befüllt, verschlossen und etikettiert. Straßer nimmt eine Flasche „Export Hell“ vom Band, probiert einen kleinen Schluck und blickt nachdenklich nach oben. „Passt“, sagt er zufrieden und stellt die Flasche beiseite.
Nächste Station des Rundgangs: Im Lagerkeller schweift der Blick über grau gekachelten Boden und Edelstahltanks, die in Gestellen überund nebeneinander angeordnet sind. Aus einem ragt ein Paar moosgrüner Gummistiefel. Sie stecken an den Füßen von Felix Winter, der den Tank von innen schrubbt. „Passt alles?“, ruft Straßer nach oben. Winter zwängt sich durch die schulterbreite Luke zurück an die frische Luft und reckt grinsend den Daumen nach oben. „Da muss man erst einmal reinund wieder rauskommen“, sagt Straßer und führt den Besucher in den Gärkeller.
Dort riecht es intensiv nach frischem Bier und Hefe. Dutzende Edelstahlrohre schlängeln sich entlang der Wände und Decken und verbinden drei große Gärtanks mit zahllosen Ventilen. Aus einem zapft der Braumeister eine Probe in einen hohen, schmalen Edelstahlzylinder, misst mit einer Spindel den Stammwürzegehalt und trägt das Ergebnis in eine Tabelle ein. Danach spült Straßer Geräte und Ventil mit viel Wasser aus einem Schlauch. „Sonst könnten Bakterien in die Tanks kommen“, erklärt er.
Straßer liebt das Bierbrauen. Daneben organisiert er den Wareneingang, nimmt Bestellungen auf, koordiniert die elf Mitarbeiter von der Abfüllanlage bis zu den Biertransportern und dokumentiert den Brauprozess. „Mir wird nie langweilig. Ich komme laut meinem Schrittzähler auf rund 30.000 Schritte pro Arbeitstag – das hält fit“, erzählt er.
Im Herzstück der Brauerei, dem Sudhaus, liegt ein süßlichwarmer Duft nach Malz und Maische in der Luft. Mit ein paar Klicks am Kontrollterminal prüft Straßer den Produktionsstand und pumpt 4.800 Liter Sud vom Maischebottich zum Filtern in den Läuterbottich. Jährlich entstehen so rund 950.000 Liter Bier in mehr als einem Dutzend Sorten. Sein Liebling? „Unser Klassiker, das Export Hell“, sagt Straßer und begleitet den Reporter nach draußen. Der hätte jetzt auch gerne ein frisches Helles gekostet – aber er muss noch Auto fahren. Immerhin scheint jetzt die Sonne. So schnell kann ein Vormittag vergehen.