Novelle des Genossenschaftsgesetzes
Was sich vor 10 Jahren rund um die eG geändert hat
Vor zehn Jahren trat die Novelle des Genossenschaftsgesetzes in Kraft. Ein Überblick über den Anlass, was sich geändert hat und in welchen neuen Branchen Genossenschaftsgründungen möglich wurden.

Das Genossenschaftsgesetz, erstmals verabschiedet im Jahr 1889, in einer gedruckten Ausgabe von 1893.
Das Genossenschaftsgesetz ist in diesem Jahr 127 Jahre alt geworden – kein besonderer Geburtstag eigentlich. Und doch gibt es ein rundes Jubiläum zu feiern: Vor zehn Jahren,am 18. August 2006, ist die Novelle des Genossenschaftsgesetzes in Kraft getreten. Sie hat einige bedeutende Änderungen mit sich gebracht. Zeit für eine Bilanz.
Anlass für die Novelle
Auslöser für die Reform waren Rechtsentwicklungen auf nationaler und internationaler Ebene, die in das Genossenschaftsgesetz integriert werden sollten, erklärt Theresia Theurl, Professorin für Volkswirtschaftslehre und geschäftsführende Direktorin des Instituts für Genossenschaftswesen an der Universität Münster. Zu den Anstößen aus internationaler Sicht zählte die Einführung der SCE, also die Rechtsform der Europäischen Genossenschaft. Hiervon sollten Elemente wie investierende Mitglieder, mehr Satzungsautonomie und soziale Förderzwecke Eingang in das Genossenschaftsgesetz finden. Ein weiterer Anlass war die Bilanzrichtlinie IAS 32, die zu einer Diskussion über das genossenschaftliche Eigenkapital in der internationalen Rechnungslegung geführt hatte.
Auch auf nationaler Ebene gab es mehrere Entwicklungen, die mit zur Novelle führten. Ausschlaggebend waren unter anderem die Einführung eines Corporate-Governance-Kodex für Genossenschaften im Jahr 2003, das Bilanzrechtsreformgesetz von 2004 sowie Gesetzes- und Änderungsvorschläge der Expertenkommission Wohnungsgenossenschaften und des Freien Ausschusses der deutschen Genossenschaftsverbände.
Die wichtigsten Änderungen der Novelle
Mit der Novelle gingen einige wesentliche Änderungen einher. So vereinfachte sich das Gründungsprozedere, da nur noch mindestens drei statt wie bisher sieben Mitglieder für eine Gründung erforderlich sind. Zudem war es fortan möglich, den genossenschaftlichen Förderzweck auch für soziale Anliegen anzuwenden, etwa für Pflegeeinrichtungen. Und es gab Erleichterungen für kleine Genossenschaften mit bis zu 20 Mitgliedern: So ist seit der Novelle statt zwei Vorständen nur noch einer erforderlich und die Notwendigkeit eines Aufsichtsrats entfiel komplett.
Auswirkungen der Novelle
Ab 2006 nahm die Zahl der Genossenschaftsgründungen in Deutschland wieder zu. Auch in Bayern verstärkten sich die Gründungsaktivitäten: Von gut einem Dutzend im Jahr 2006 stieg die Zahl auf den Höchststand von 66 neuen Genossenschaften im Jahr 2012. Das verführt zu der Annahme, allein die Novelle des Genossenschaftsgesetzes hätte dies ausgelöst. Doch die Zunahme hatte mehrere Ursachen, erklärt Theurl. Denn der Großteil der Gründungen ging von den Energiegenossenschaften aus, von denen im Freistaat seit 2006 mehr als 200 entstanden sind. Sie profitierten von den in den vergangenen Jahren sehr attraktiven Förderbedingungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Ein weiterer Grund sei die Finanzmarktkrise gewesen, so die Wissenschaftlerin. „Die Genossenschaften sind da wieder stärker wahrgenommen worden und rückten dadurch in ein positiveres Licht.“ Die Gründungen von Genossenschaften im sozialen oder kulturellen Bereich wären ohne die Änderung des Gesetzes allerdings nicht möglich geworden. So hat die Novelle neue Anwendungsmöglichkeiten mit sich gebracht, wie Seniorengenossenschaften oder Familiengenossenschaften, die neue Aufgaben im sozialen Bereich übernommen haben. Das habe die Rechtsform eG insgesamt attraktiver gemacht, meint Theurl. „Man hat den Kern des Genossenschaftsgesetzes beibehalten, es gibt jetzt aber ein viel breiteres Anwendungsfeld dafür.“
Ein Blick in die Zukunft
Für Nachbesserungen sieht die Münsteraner Volkswirtin derzeit keine Notwendigkeit. „Man muss die Genossenschaft eher vor einer Überoptimierung schützen“, lautet ihre Einschätzung. Weitere Reformen würden die Gefahr bergen, den Kern der Rechtsform zu verändern. Dies hätte auch Auswirkungen auf deren Reputation. „Das Genossenschaftsgesetz heute hat recht breite Spielräume, um Genossenschaften zu gründen, die Sinn machen, und diese Spielräume werden auch genutzt“, so Theurls Fazit.
Der Artikel ist in der August-Ausgabe von „Profil - das bayerische Genossenschaftsblatt“ erschienen.